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Lebensaumportrait: Die Silbergrasflur (Corynephoretum canescentis Tx 55)

Charakterisierung eines einheimischen Lebensraumes

Die Pflanzengesellschaft Silbergrasflur ist benannt nach einem der wichtigsten Vertreter, dem Silbergras (Corynephorum canescens). Die Endung -etum gibt an, dass es sich um eine sogenannte Assoziation handelt, die eine Pflanzengesellschaft charakterisiert. Wesentlich für diese Einstufung sind die großen Gemeinsamkeiten bezüglich der auftretenden Pflanzenarten, und, damit zusammenhängend, auch von Boden und Klima. Einzelne Pflanzenarten sind typisch für eine Assoziation. Anhand dieser Assoziationscharakterarten kann man Pflanzengesellschaften erkennen, sodass die Flächen, die zu einer Assoziation gehören, schon durch große Ähnlichkeiten im äußeren Erscheinugsbild auffallen.

Die Silbergrasflur stellt eine Pioniergesellschaft auf Sand dar. Auf Sanddünen in Küstennähe tritt

die Pflanzengesellschaft natürlich auf. Im Binnenland sind Sanddünen seltener. Häufig sind sie Relikte des Tertiärmeeres, oder es handelt sich um Flugsanddünen, die durch die Ablagerung der Sandverwehungen zwischen den Eiszeiten oder am Ende der letzten Eiszeit entstanden. In den oft sehr armen Kiefernwäldern des Nürnberger Reichswaldes gab es zahlreiche Bereiche mit Flugsanddünen. Inzwischen sind die meisten dieser Dünen allerdings durch den Sandabbau verschwunden.

Auch heute noch lassen Überschemmungen und Überflutungen in Flusstälern häufig kleinere Sandflächen entstehen. Über Jahrhunderte können auf diese Weise mehrere Meter dicke Sandschichten entstehen. Der Abbau dieser Schwemmsande in Sandgruben schafft offene Sande. Wenn diese Bereiche nicht ständig stark bewegt werden, können sie Pionieren neuen Lebensraum bieten und so für die Ansiedelung neuer Gesellschaften sorgen.

Silbergrasfluren stellen sowohl trockene, als auch sehr mineralstoffarme Lebensräume dar. In Bodennähe werden häufig Temperaturen von mehr als 70 Grad Celsius erreicht. Die Flächen im Oberflächenbereich können sehr stark austrocknen. Insgesamt herrschen somit die lebensfeindlichen Bedingungen vonWüsten.

In Corynephoreten findet man stets einen hohen Anteil an offenliegenden Sanden. Pflanzen treten meist nur vereinzelt und in größerem Abstand voneinander auf. Alle Pflanzenarten zeigen Anpassungen an Trockenheit und Mineralstoffarmut. Mineralstoffarmut bedingt, dass die Pflanzen nur langsam wachsen und die meisten auffallend klein bleiben. Das dichte und fein verzweigte Wurzelwerk der meisten Arten kann selbst geringste Feuchtigkeitsreste aus dem Boden aufsaugen. Auch tiefere Erdschichten werden erschlossen. Außerdem halten die Wurzeln in gewissem Maße die Dünensande fest und sorgen für Stabilität der Pflanzen.

Das Silbergras bildet Horste, die zwischen 5 und 15cm Durchmesser erreichen. Die einzelnen Grashalme sind von einer dicken Wachsschicht überzogen, die als Verdunstungsschutz dient. Die gleiche Aufgabe erfüllen auch die der Länge nach so eingerollten Blätter, dass die Spaltöffnungen im Inneren liegen. Man bezeichnet sie deshalb auch als Rollblätter.

Der Frühlingsspörgel ( Spergula morissonii ) trägt nadelförmige Blätter, die besonders klein sind und gerade einmal 1cm erreichen. Im Innern können die Blätter Wasser speichern. Eine Wachsschicht bietet zusätzlichen Schutz vor Verdunstung. Eine weitere Anpassung an die Sommertrockenheit stellt hier die Vegetationszeit dar: Die Pflanzen keimen im Herbst und blühen schon ab Ende März. Oft sind bereits Anfang Mai die Samen reif und die Pflanze stirbt ab, noch bevor die heißere Jahreszeit beginnt.

Auch der Bauernsenf blüht früh. Er bildet eine dichte Blattrosette aus. Diese schmiegt sich eng an den Boden, um übermäßige Verdunstung zu verhindern.

Das Kleine Filzkraut zeigt eine weißgraue Färbung zum Schutz vor intensiver Sonneneinstrahlung. Die kurze, aber dichte filzige Behaarung trägt dazu bei, dass die Spaltöffnungen vor Wind geschützt werden. Die Verdunstung wird dadurch herabgesetzt.

Das Bürstenmoos ( Polytrichum piliferum) setzt die Verdunstung herab, indem die Glashaare der Planze als Windschutz fungieren.

Der relativ spät blühende Sandquendel (Thymus serpyllum) hat kleine, schmale andeutungsweise eingerollte Blätter und eine schützende Wachsschicht.

Flechten haben keine Abschlussgewebe, die vor Verdunstung schützen. Manche von ihnen, wie die Rotfrüchtige Säulenflechte (Cladonia macilenta), können aber bei extremer Trockenheit ihren Stoffwechsel vollkommen einstellen, austrocknen und bei genügend Feuchtigkeit wieder zum „Leben erwachen“.

Alle Silbergrasfluren im Binnenland unterliegen der Sukzession. Durch absterbende Pionierpflanzen wird in geringem Maß Humus aufgebaut, der auch anderen Pflanzen als Lebensgrundlage dienen kann. In solchen alternden Silbergrasfluren kann man neben größerflächigen Bürstenmoosbereichen auch das Bergsandglöcklein (Jasione montana) und das Sandhornkraut (Cerastium semidecandrum) finden. Speziell im fränkischen Raum tritt Dillenius Ehrenpreis (Veronica dillenii) in der nun mineralstoffreicheren Gesellschaft auf. Nach und nach siedeln sich größere Pflanzen an, die die empfindlichen Erstbesiedler im Lauf der Zeit verdrängen.

Selbstverständlich leben auch Tiere in Silbergrasfluren. Offene Böden sind der Lebensraum der Steinschmätzer. Diese Vögel jagen dort nach Insekten und brüten an geschützten Stellen, oft zwischen Steinen. Sandregenpfeifer legen ihre Eier in kiesigeren Bereichen ab. Die Eier sind so gefleckt, dass sie sich von ihrer Umgebung kaum unterscheiden und somit nicht leicht entdeckt werden. Ähnlich gut getarnt sind die Blauflügelige Ödlandschrecke und die Blauflügelige Sandschrecke. Man erkennt diese Tiere meist erst dann, wenn man ihnen zu nahe gekommen ist und sie fliegend flüchten. Solitärbienen graben Löcher in den Sand, lagern in den Höhlen Pollen zusammen mit einem Ei ab. In den mit Sand verschlossenen Höhlen leben die Larven vom Blütenstaub und entwickeln sich. Die fertigen Tiere schlüpfen dann im darauffolgenden Jahr. Ähnlich verhalten sich Grabwespen. Sie tragen allerdings gelähmte Insekten in die Höhlen, um für genügend Nahrung für den Nachwuchs zu sorgen.

Auch Ameisenlöwen graben im feinen Sand. Sie bilden trichterartige Vertiefungen aus, auf deren Grund sie, gut im Sand versteckt, auf Ameisen lauern. Gerät eine Ameise in den Sandtrichterbereich, wird sie mit Sand beworfen, so dass sie immer weiter auf den Trichtergrund rutscht. Der Ameisenlöwe ergreift sie dann mit seinen Zangen und ernährt sich von ihr.

Sandlaufkäfer heizen sich im Sand auf, bevor sie auf die Jagd nach anderen Insekten gehen.

Viele der Tier- und Pflanzenarten der Silbergrasfluren sind inzwischen so selten geworden, dass man sie in den Roten Listen der gefährdeten Arten Bayerns wiederfindet. Auch die Silbergrasfluren selbst gehören heute zu den gefährdeten Lebensräumen. Während man sie früher häufig auf Brachäckern, sandigen Brachen, Kahlschlägen, sandigen Wald- und Wegrändern, Sanddünen, kleinen Privatsandgruben, oft im Kiefernforst fand, sind viele dieser Flächen inzwischen unserem heutigen Schönheitsempfinden geopfert und „kultiviert“ worden.

Aus der Luft erfolgt eine ständige Düngung durch Stickoxide, die, trotz der Katalysatoren, in hohem Maß von der riesigen Zahl an Benzin- und Dieselmotoren emittiert werden. Nicht zu vergessen ist die Aufdüngung durch die Güllewirtschaft. Frei werdendes Ammoniakgas reagiert mit dem Wasser des Regens und geht so auch auf die düngeempfindlichen Silbergrasfluren nieder. Diese Einflüsse von außen sorgen für einen deutlich rascheren Ablauf der Sukzession und damit ein schnellereses Verschwinden von Pionierstadien.

Zum Erhalt von Silbergrasfluren müssen deshalb Pflegemaßnahmen ergriffen werden. Bereits einfache Schritte können zum Schutz beitragen: Das Herausreißen der Altbestände im Herbst oder das Abrechen von Moos und bereits gebildetem Humus tträgt dazu bei, die Nährstoffeinbringung zu reduzieren. Das damit verbundene Aufreißen des Bodens fördert die Bedingungen für alle Erstbesiedeler, die für eine erfolgreiche Keimung offenen Mineralboden benötigen. Abplaggen des Oberbodens bei stark fortgeschrittener Sukzession entnimmt die Humusschicht der Obefläche und sorgt für offenen Sandboden.

Neu gebildet werden können Silbergrasfluren, wenn man ausgebeutete Sandgruben nicht verfüllt, sondern mit einer Restsandschicht versehen offen liegen lässt.

Quellen:

  • Runge,F., Die Pflanzengesellschaften Mitteleuropas, Münster 1986, S. 180-181
  • Wirth,V., Kirschbaum,U., Flechten einfach bestimmen, Wiebelsheim 2014
  • de.wikipedia.org/wiki/silbergrasflur aufgerufen am 08.05.2022
  • schmitzens-botanikseite.de/coryn/coryn2.htm aufgerufen am 08.05.2022
  • zobodat.at/pdf/Herzynia_11_0291-0298.pdf aufgerufen am 09.05.2022