Artenportrait: Der Weißdorn (Crataegus monogyna und C. laevigata)
Für Crataegus sind verschiedene Bezeichnungen gebräuchlich: Weißdorn, Hagedorn, Heckendorn, Hagapfel, Mehlbeerbaum, Mehldorn, Mehlfässel.
Alle stehen mit den Eigenschaften des Weißdorns in Verbindung: Hagedorn mit dem Mittelhochdeutschen Hag. Mit diesem Wort wird ein Gelände bezeichnet, das durch Hecken von anderen Flächen abgegrenzt ist. Der Weißdorn wird somit als Grenzbaum gesehen. Hagapfel weist auf die apfelähnlichen Früchte hin, Mehlfässel auf den mehligen Geschmack der Früchte und die faßähnliche Fruchtform. Die Bezeichnung Weißdorn bezieht sich auf die auffallenden weißen Blüten und die durchaus bemerkenswerten dornigen Zweige. Die Vielfalt der Bezeichnungen lässt darauf schließen, dass es sich um eine seit langem bekannte Art handelt.
In der Überschrift sind zwei Arten genannt, der Eingriffelige Weißdorn ( Crataegus monogyna) und der Zweigriffelige ( Crataegus laevigata). Tatsächlich wächst in Deutschland mindestens eine weitere Art: Crataegus rhipidophylla.
Die grundlegende Abgrenzung der einzelnen Arten ist allerdings sehr schwierig.
Dies liegt daran, dass alle Arten natürliche Kreuzungen bilden, also bastardisieren. Nicht nur die einzelnen Arten bastardisieren, sondern auch die Bastarde untereinander und auch mit den Elternarten. Dadurch entsteht eine große Fülle an genetischen Varianten mit vielen verschiedenen morphologischen Übergängen, die sich nur schwer zuordnen lassen. Darüber hinaus können auch polyploide Individuen entstehen, d.h. Individuen mit einem vergrößerten Chromosomensatz. Diese sind oft apomiktisch. Das bedeutet, dass sie nicht bestäubt werden, aber dennoch fruchtbare Nachkommen bilden, die mit der Mutterpflanze genetisch identisch , also Klone, sind. Durch natürliche Selektion können Individuen entstehen, die äußerliche Ähnlichkeiten mit anderen Arten oder Bastarden zeigen, durch genetische Merkmale allerdings differenziert werden könnten (was allerdings in der botanischen Praxis nur selten geschieht).
Im Folgenden werden die beiden oben genannten Arten näher betrachtet, da sie sich einigermaßen leicht voneinander unterscheiden lassen und in unserem Raum am häufigsten zu finden sind
Die Weißdorne bilden Sträucher oder kleine Bäume, die als Einzelbäume bis maximal 12m hoch werden. Ihre Rinde ist bei jungen Pflanzen hell und glatt, bei älteren deutlich dunkler und rissig. Die sommergrünen Sträucher bilden dichte Kronen durch viele Verzweigungen. Die Pflanzen vertragen auch starke Rückschnitte, weshalb sie nicht nur in Naturhecken auftreten, sondern auch für Kulturhecken gut geeignet sind. Ihre Langlebigkeit und geringe Größe macht sie zum idealen Grenzbaum.
Die Blüten stehen in Doldenrispen zusammen. Ihre radiärsymmetrischen Blüten sind zwittrig. Sie haben im aufgeblühten Zustand einen Durchmesser von 10 bis 15mm. Die 5 eiförmigen Kronblätter sind rein weiß. Viele rote Staubblätter umgeben den Stempel. Aus den Fruchtknoten entstehen die im reifen Zustand roten kelchförmigen Früchte mit etwa 10mm Länge und 7mm Breite.
Die beiden Arten unterscheiden sich am stärksten bei Blättern und Früchten:
Beim Eingriffeligen Weißdorn trägt der Fruchtknoten im Regelfall nur einen Griffel, der bis zur Reife an der Frucht bleibt. Die reifen Früchte sind dunkelrot gefärbt.
Beim Zweigriffeligen Weißdorn sind meist 2 Griffel, manchmal auch 1 oder 3 Griffel zu finden, die reifen Früchte sind ziegel- bis braunrot gefärbt.
Die Blätter sind in beiden Fällen im Umriss eiförmig. Allerdings sind sie beim Eingriffeligen Weißdorn tief fiederartig eingeschnitten und bilden drei bis sieben Blattlappen. Diese sind an den Spitzen deutlich gezähnt. Beim Zweigriffeligen Weißdorn sind die Blätter nur wenig geteilt. Die einzelnen Blattlappen sind kaum gezähnt und wirken eher stumpf.
Bezüglich der ökologischen Ansprüche treten nur geringe Unterschiede auf. Während der Eingriffelige Weißdorn eher in sommerwarmen Nadelmischwäldern auftritt, findet man den Zweigriffeligen eher in frischen Edellaubwäldern, beide aber in Waldsäumen, Hecken und Gebüschen. Beide Weißdornarten bevorzugen mineralstoff- und basenreiche humose Lehmböden (Mullböden), die beim Eingriffeligen Weißdorn durchaus auch stärker kalkhaltig sein dürfen. Die Licht- bis Halbschattenpflanzen besitzen tiefgehende Pfahlwurzeln, deren Feinwurzelwerk mit symbiontischen Pilzen eine Mykorrhiza ausbildet.
Die vorweiblichen Blüten ( Narben reifen, bevor die Staubblätter der eigenen Blüte sich öffnen und verhindern so die Selbstbestäubung) produzieren Nektar, der auf uns Menschen in einiger Entfernung angenehm duftend wirkt, in der Nähe jedoch eher als unangenehm empfunden wird. Als Bestäuber kommen neben Bienen auch Fliegen in Frage. Für Bienen bieten die Weißdornarten eine gute Bienenweide.
Die Fruchtreife erfolgt im September. Vögel fressen nur den fleischigen Teil von den Steinfrüchten. Säugetiere dagegen nehmen oft die ganzen Früchte auf und verbreiten über ihren Kot die Samen. Die Früchte werden allerdings meist dann im Winter oder im zeitigen Frühjahr als Nahrungsquelle genutzt, wenn die bevorzugten Leckereien bereits versiegt sind.
Insbesondere für Kleinvogelarten stellen die dichten Kronen einen idealen Brutplatz dar, der weitgehend marder- und greifvogelsicher ist. Dies ist auch der Grund , weshalb man in Weißdornbüschen immer Vögel findet, da sie sich hier offenbar sicher fühlen. Im Winter werden die Kronen dieses idealen Vogelgehölzes oft nur kurzzeitig zur Nahrungsaufnahme verlassen. Insgesamt wurden im Weißdorn etwa 30 brütende Singvogelarten gezählt, neben etwa 150 Insektenarten. 54 Arten an Schmetterlingsraupen konnten festgestellt werden, darunter die von Segelfalter, Kupferglucke und Goldafter.
Leider hat man in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts viele Einzelbäume, Hecken und Feldgehölze beseitigt und mit ihnen fast die gesamten regional angepassten Weißdornsorten. Vor allem in den 80er Jahren erfolgte ein Umdenken. Es wurden wieder vermehrt Hecken angepflanzt und mit ihnen auch Weißdorne. Allerdings verwendete man deutschlandweit einheitliche Baumschulware und keine regional angepassten Sorten. So ist zwar der Weißdorn an sich nicht gefährdet, wohl aber die Vielfalt der Sorten.
Aus dem sehr harten, schwer spaltbaren und dauerhaften Holz stellte man Werkzeugstiele oder auch Spazierstöcke her.
Die Früchte der Weißdornarten können roh verzehrt werden. Je nach Reifegrad schmecken sie säuerlich, süß oder mehlig. Man kann sie zur Zubereitung von Kompott oder Gelee verwenden, denn sie haben ein gutes Geliervermögen. In Mischung mit anderen Früchten lassen sich wohlschmeckende Säfte und Sirupe herstellen.
In früheren Notzeiten wurde aus den Früchten eine Art Mus hergestellt. Getrocknete und gemahlene Früchte verwendete man zum Strecken von Mehl. Aus Samenkernen stellte man einen Kaffeeersatz her.
Am wichtigsten ist auch heute noch die Bedeutung als Heilpflanze bei nervösen Herzbeschwerden und zur Stärkung der Herzfunktion.
Weißdornextrakte steigern die Kontraktionskraft des Herzens und erweitern Gefäße, insbesondere die Herzkranzgefäße. Dadurch wirken sie durchblutungsfördernd und verbessern insgesamt die Sauerstoffversorgung. Dies gilt im Besonderen für das (noch gesunde!) Altersherz. Bei bereits eingetretenen Herzerkrankungen sollte keinesfalls eine Selbstmedikation erfolgen. Es muss immer der Arzt entscheiden, ob Weißdornextrakte als zusätzliche Behandlungsform sinnvoll sind.
Die Inhaltsstoffe des Weißdorns wirken nur in ihrer Gesamtheit. Sie sind sehr gut verträglich, auch bei Dauergebrauch. Bei sorgfältiger Medikation zeigen sich keine unerwünschten Nebenwirkungen.
Man verwendet Blüten und Blätter und/oder Früchte. Sie können frisch oder aber getrocknet sein. Üblich ist die Einnahme in Form von Tee, bzw. als alkoholischer Auszug.
Die Heilwirkung ist seit langem bekannt. Erstmals wurde sie im 1. Jahrhundert nach Christus von Pedanios Dioscurides beschrieben. Aber auch in der Traditionellen Chinesischen Medizin und bei verschiedenen Indianerstämmen wurde und wird Weißdorn verwendet.
Der doppelgesichtige Janus, der römische Gott für den Anfang und das Ende, galt als einer der ältesten römischen Götter. Ihm war der Weißdorn geweiht.
Weißdorn wurde nicht nur zur Abgrenzung im Gelände verwendet, sondern seit alters her auch zur Abwehr von bösen Geistern und als Schutz vor Verhexung.
Ein bei den Römern ins Fenster gestellter Weißdornzweig sollte Kinder vor den nächtlichen Strigae schützen, den blutsaugenden vogelartigen Dämonen, die man für Krankheiten und Kindstot verantwortlich machte.
Kinderwiegen wurden gerne aus Weißdornholz gefertigt. So wollte man verhindern, dass böse Feen die Säuglinge raubten oder austauschten.
Weißdornbüsche galten als Wohnungen von Elfen. Die Sträucher wurden gerne mit Stofffetzen geschmückt oder auch mit Haaren verziert, die in die Zweige geflochten wurden. Man hoffte, die Elfen dadurch günstig zu stimmen und für gute Taten gewinnen zu können.
Nicht nur in der Mythologie, sondern auch in der Literatur spielt der Weißdorn eine Rolle. Gottfried August Bürger, Richard Wagner und Bertolt Brecht erwähnen den „Hagedorn“ in ihren Texten. Anblick und Duft des Weißdorns spielen für Marcel Proust eine wesentliche Rolle in mindestens einem seiner Werke ( „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“). Wilhelm Rabe hat mit der Ballade „Der Hagedorn“ dem Weißdorn ein literarisches Denkmal gesetzt.
Karl-Heinz Donth